Arzneimittel-Kompass 2021

Schwerpunkt: Hochpreisige Arzneimittel - Herausforderung und Perspektiven

Der Arzneimittel-Kompass 2021, der sowohl als Open-Access-Publikation als auch als gedrucktes Buch erscheint, widmet sich in seiner ersten Ausgabe dem Schwerpunktthema "Hochpreisige Arzneimittel - Herausforderung und Perspektiven".

Angesichts der hohen Preise für Arzneimittel analysieren namhafte Autorinnen und Autoren, wie eine faire Preisgestaltung gelingen kann. Einerseits gilt es, die Forschung und Entwicklung eines Arzneimittels adäquat zu honorieren, andererseits aber auch die Verfügbarkeit von bezahlbaren Medikamenten sicherzustellen. Der Arzneimittel-Kompass 2021 geht unter anderem den folgenden Fragen nach:

  • Wie kann die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft für neue und hochpreisige Arzniemittel beurteilt werden?
  • Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Nutzen von Arzneimitteln für die Behandelten und den aufgerufenen Preisen, insbesondere bei Krebstherapien?
  • Wie können die renditemaximierende Wachstumsstrategie börsennotierter Pharmaunternehmen und eine bezahlbare Arzneimittelversorgung in Einklang gebracht werden?
  • Welche Verfahren der Preisfindung kommen international zur Anwendung und welche möglichen neuen Modelle werden diskutiert?
  • Wie werden die Herausforderungen und der Weiterentwicklungsbedarf der Preisfindung von den Marktakteuren wie gesetzliche Krankenkassen, Ärztinnen und Ärzten oder pharmazeutischer Industrie bewertet?

Bericht über den GKV-Arzneimittelmarkt

Zentrale Entwicklungen im Arzneimittelmarkt werden beschrieben und analysiert. Die Ausgaben für Arzneimittel und Impfstoffe, die im Jahr 2020 mit 47,8 Mrd. € einen neuen Höchststand erreicht haben, werden differenziert in den Blick genommen. Die Auswertungen basieren auf 820 Mio. Verordnungen von mehr als 210.000 Ärztinnen und Ärzten für 73,4 Mio. GKV-Versicherte.

Inhaltsverzeichnis

Teil I Zum Einstieg

Arzneimittelpreise aus gesellschaftlicher Perspektive

Julian Witte und Wolfgang Greiner

Aufgrund der vermehrten Zulassung von Hochpreistherapien ist die mit Einführung der nutzenbasierten Preisbildung in Deutschland vorgesehene Orientierung an Vergleichspreiskorridoren nicht mehr bzw. nur noch sehr eingeschränkt umsetzbar. Der Hintergrund dafür ist, dass diese neuartigen Therapien vielfach keine Vergleichsreferenzen im Markt haben. Diskutiert wird, ob die derzeitigen Preisbildungskriterien und -mechanismen ausreichen, um die Erstattung hochpreisiger Arzneimittel auch zukünftig in einem fairen Interessenausgleich sicherzustellen, oder ob es ergänzender Regulierungsansätze bedarf. Aus gesundheitsökonomischer Perspektive fehlt es vor allem an einer strukturierten Berücksichtigung ökonomischer Evidenz im Rahmen von Bewertung und Preisfindung neuer Arzneimittel. Zudem ist zu erwarten, dass sich die Preisbildung für neue Arzneimittel durch adaptive Preisbildungsmodelle zukünftig stärker in Prozesse verschiebt, die den Verhandlungen nachgelagert sind, um neben der preis- insbesondere die mengenadjustierte Ausgabensteuerung zu ermöglichen. Damit eine solche mengenbezogene Preisadjustierung innerhalb der nutzenbasierten Preisbildungslogik, bestehend aus differenzierten Vergleichstherapien und Teilpopulationen, praktikabel und prozedural fair umsetzbar ist, bedarf es einer verbesserten Datenbasis.

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Gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Sicht auf die (zukünftige) Finanzierbarkeit von Arzneimittelm

Jürgen Wasem, Theresa Hüer und Carina Abels

Angemessene Preise für patentgeschützte Arzneimittel zu finden ist kein neues Problem. Bei sich ändernden Rahmenbedingungen stellt sich die Frage jeweils wieder neu. Der Markt unterliegt derzeit insbesondere zwei strukturellen Veränderungen. Zum einen werden neue Arzneimittel immer häufiger auf Basis besonderer Verfahren durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA, englisch European Medicines Agency) zugelassen, womit eine geringe Evidenzlage zum Zeitpunkt der Zulassung einhergeht. Zum anderen ergeben sich hauptsächlich durch Arzneimittel für neuartige Therapien transformierte Ausgabenverläufe, da es sich um Einmal-/Impulstherapien handelt, die eine jahre- bis lebenslange Wirkung versprechen. Aus der sich daraus ergebenden Unsicherheit hinsichtlich der (langfristigen) Wirksamkeit unmittelbar nach der Zulassung ergibt sich ein Spannungsfeld im Rahmen der Preisfindung. Um diesem Spannungsfeld in der derzeitigen Arzneimittelpreisbildung im deutschen System zu begegnen, werden in diesem Beitrag international diskutierte innovative Preis- und Erstattungsmechanismen betrachtet und in Bezug auf ihre Anwendbarkeit im deutschen Preisbildungssystem bewertet. Gleichzeitig wird darauf eingegangen, dass möglicherweise ein stärkerer Fokus auf Kosten-Nutzen-Bewertungen im Rahmen der Preisbildung gelegt wird, um die (zukünftige) Finanzierbarkeit von Arzneimitteln sicherzustellen.

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Ansätze zur Heterodoxen Ökonomik

Kai Mosebach

Heterodoxe Ansätze hinterfragen neoklassische Gewissheiten der Arzneimittelversorgung. Dieser Beitrag beschreibt zunächst die besonderen Grundannahmen der heterodoxen (Pharma-)Ökonomik. Im Anschluss daran werden heterodoxe Argumentationslinien dargestellt, welche die hochpreisigen Arzneimittelinnovationen der letzten 10–15 Jahre zu erklären versuchen. Die Kernthese der heterodoxen (Pharma-)Ökonomik ist, dass die großen Pharmaunternehmen aufgrund ihrer Preisführerschaft sich nicht nur die Wertbeiträge staatlicher Forschungs- und Technologieförderung, sondern auch die Innovationskraft von kleinen Start-Up-Unternehmen aneignen, um ihr börsenorientiertes Wachstumsmodell zu verfolgen. Sie nutzen ihre auf Preisführerschaft und immateriellen Vermögenswerten beruhende Marktmacht zur Maximierung ihres Unternehmenswertes und der Kapitalrendite, was – paradoxerweise – ihre Innovationskraft schwächt. Abschließend wird erörtert, welche Schlussfolgerungen die theoretischen Annahmen und empirischen Ergebnisse der heterodoxen Ökonomik bei der Reform des AMNOG-Prozesses nahelegen.

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Ethische Sichtweise auf hochpreisige Arzneimittel

Eckhard Nagel, Dennis Henzler und Michael Lauerer

Die Zulassung und Preisbildung neuer Arzneimittel ist in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, reglementiert. Damit fügen sie sich in die umfänglichen Vorgaben zur Strukturierung des Gesundheitswesens ein, die im Wesentlichen das Ziel haben, die Interessen des Leistungsanbieters, der Versichertengemeinschaft als Kostenträger sowie der behandlungsbedürftigen Personen adäquat zu berücksichtigen. Diese Ausgleichsfunktionen sind einer Reihe ethischer Normen unterworfen, die zum Teil explizit das Gesundheitswesen charakterisieren oder häufig auch implizit das genannte Ziel realisieren sollen. Der Artikel rekapituliert relevante ethische Grundlagen der Gesundheitsversorgung, welche einen engeren Bezug zur Preisfindung bei Medikamenten aufweisen. Dabei bedient er sich zweier Fallstudien anhand derer erkennbar wird, wie sich die Zusammenhänge zwischen Normensetzung und Verantwortung auf diesem Gebiet darstellen.

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Teil II Vertiefende Diskussion ausgewählter Fragestellungen

Entwicklung der Arzneimittelkosten und -preise in der Versorgung

Melanie Schröder und Carsten Telschow

Arzneimittelpreise von mehr als 10.000 €, 100.000 € oder gar Preise jenseits der Millionengrenze waren noch vor wenigen Jahren eine absolute Ausnahme, werden aber seitdem immer häufiger zur Realität. Während es die einen gelassen sehen und auf die unproblematische Umsatzentwicklung der ambulanten Arzneimittelverordnungen hinweisen, sehen die anderen eine Gefährdung der heutigen und vor allem der zukünftigen Finanzierbarkeit. Aber welchen Einfluss haben diese hochpreisigen, meist patentgeschützten Arzneimittel auf den deutschen Arzneimittelmarkt und haben wir wirklich (k)ein Problem? Der Beitrag zeigt eine rasante Preisentwicklung insbesondere bei neuen patentgeschützten Arzneimitteln und auch eine steigende Ausgabenrelevanz von sogenannten Hochpreisern, die ihre Preisanker in immer mehr Indikationsgebieten setzen können. Zudem wird deutlich, dass die Fokussierung auf den ambulanten Markt zu kurz greift, um die Kostenauswirkung dieser neuen Arzneimittel einzuschätzen. Die Kosten der zusätzlich notwendigen Berücksichtigung für die Anwendung von Marktneueinführungen im Krankenhaus können aus der Perspektive der Zahlenden durchaus Besorgnis hervorrufen. Der Blick auf die umsatzstarken und gewinnstärksten Pharmakonzerne schließlich zeigt, dass sich deren Geschäftsfeld überwiegend auf hochpreisige und patentgeschützte Arzneimittel konzentriert.

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Hochpreisigkeit bei Onkologika

Wolf-Dieter Ludwig und Kerstin Noëlle Vokinger

Onkologika sind seit mehreren Jahren die umsatzstärkste Arzneimittelgruppe in Deutschland. Während 2014 unter den 30 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimitteln nur drei Onkologika mit Nettokosten zwischen 184 Mio. Euro und 259 Mio. Euro je Arzneimittel waren, befinden sich unter den führenden 20 Arzneimitteln nach Nettokosten im Jahr 2020 bereits neun Onkologika. Sie sind deshalb inzwischen die mit weitem Abstand umsatzstärkste Arzneimittelgruppe mit 9,5 Mrd. Euro Nettokosten insgesamt. Verantwortlich hierfür sind die sehr hohen Preise, die heute von pharmazeutischen Unternehmern (pU) für neuartige Wirkstoffe zur Behandlung hämatologischer Neoplasien und solider Tumore (z. B. Proteinkinaseinhibitoren und monoklonale Antikörper) verlangt werden. Im Zusammenhang mit der Auswertung von Verordnungen ist zu berücksichtigen, dass für GKV-Patient:innen 2020 insgesamt nur 8,1Mio. Verordnungen von Onkologika erfolgten, die nur 1,2% aller verordneten Arzneimittel des GKV-Arzneimittelmarktes ausmachten. Anhand aktueller Untersuchungen konnte inzwischen gezeigt werden, dass die Kosten für Forschung & Entwicklung (F&E) neuer Wirkstoffe, die von pU häufig als Begründung für die sehr hohen Preise der Onkologika genannt wurden, deutlich niedriger liegen als früher behauptet (im Median circa 548 Mio. Euro), sodass Onkologika heute sehr hohe Erträge generieren, die die Kosten für F&E deutlich übersteigen. Darüber hinaus belegen sowohl aktuelle Studien aus den USA und Europa als auch die Ergebnisse der seit 2011 in Deutschland durchgeführten frühen Nutzenbewertung von Onkologika, dass ein Zusammenhang zwischen deren klinischem Nutzen und den Behandlungskosten meist nicht besteht.

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Die Bedeutung der Pharmaindustrie in Deutschland

Jasmina Kirchhoff

Eine starke innovative Pharmaindustrie ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Wirtschaftsstandorts und ein starker Wirtschaftsstandort Deutschland ist wichtig für eine global wettbewerbsfähige Pharmaindustrie vor Ort. Pharmazeutische Unternehmen sind in Deutschland auf allen Stufen der pharmazeutischen Wertschöpfungskette tätig. Mit ihren wirtschaftlichen Aktivitäten und ihrer Exportstärke schaffen sie hochwertige Arbeitsplätze, erwirtschaften eine überdurchschnittliche Wertschöpfung und leisten mit ihren Innovationen und über ihre Einbindung in nationale und internationale Forschungs- und Produktionsnetzwerke einen positiven gesamtwirtschaftlichen Beitrag zu Wohlstand und Beschäftigung. Für eine auch in Zukunft wettbewerbsfähige Arzneimittelentwicklung und -produktion in Deutschland braucht es eine klug aufgestellte Industriepolitik. Pharmazeutische Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass sie ihre Produkte langfristig wirtschaftlich auf dem deutschen und europäischen Markt absetzen können, wenn sie  die hohen Investitionen für den Aufbau neuer Forschungs- und Produktionsanlagen vor Ort aufbringen.

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Beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln: Herausforderungen für Patient:innen, Datenqualität und faire Preise

Antje Haas, Thomas Mayer, Anja Tebinka-Olbrich, Maximilian Blindzellner, Elisa Beggerow und Andreas Nickel

Beschleunigte Zulassungen stellen die Nutzenbewertung und Erstattung von Arzneimitteln vor besondere Herausforderungen. Der Artikel setzt sich in Form eines narrativen Reviews mit den Auswirkungen dieser Zulassungen auf Patient:innen, Angehörige der Gesundheitsberufe und die Solidargemeinschaft sowie mit den möglichen Lösungsstrategien auseinander. Die Autor:innen geben dazu anhand aktueller Literatur zunächst einen Überblick über die Zulassung von Arzneimitteln mit „conditional marketing authorisation“, „approval under exceptional circumstances“ sowie Orphan Drugs. Anschließend stellen sie den Einfluss beschleunigter Zulassungen auf die Nutzenbewertung dar und bewerten diesen. Zum Schluss beschreiben sie in diesem Zusammenhang Herausforderungen im Hinblick auf Arzneimittelpreise.

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Preisregulierungen im internationalen Vergleich

Sabine Vogler

Im europäischen und internationalen Vergleich ist das deutsche Preisniveau von Arzneimitteln hoch – insbesondere das von neuen patentgeschützten Medikamenten. Preisregulierungen können dazu beitragen, die nachhaltige Finanzierung des Solidarsystems zu sichern. In diesem Beitrag werden Preisregulierungen im internationalen Umfeld präsentiert. In den meisten europäischen Staaten sind die Herstellerpreise von Arzneimitteln ab Markteintritt reguliert, zumindest für jene Medikamente, deren Kosten jedenfalls teilweise von den (öffentlichen) Zahlern getragen werden. Rabattabkommen (Managed Entry Agreements) sind in vielen Ländern ein gängiger Ansatz, um den Marktzugang zu hochpreisigen Arzneimitteln zu ermöglichen; sie sind allerdings meist intransparent. Neue Beschaffungsmodelle mit einer von der konsumierten Menge unabhängigen Umsatzgarantie für die pharmazeutischen Unternehmer werden in ein paar Ländern pilotiert. Im Rahmen eines integrierten Ansatzes wird Preisregulierung als Teil eines Maßnahmenpakets verstanden, das etwa auch Horizon Scanning und HTA umfasst. In jüngerer Zeit kooperieren Länder mit gemeinsamen Preisverhandlungen bzw. Arzneimittelbeschaffungen.

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Ansätze zur Begegnung der Hochpreisigkeit

Nora Franzen und Wim van Harten

Dieses Kapitel bietet eine Darstellung und Einordnung innovativer Lösungsvorschläge jenseits inkrementeller Ansätze zur Bezahlbarkeit von hochpreisigen, patentgeschützten Spezialpräparaten. Die Autor:innen diskutieren mögliche Maßnahmen zur Preissenkung durch Veränderung geistiger Eigentumsrechte und arzneimittelrechtlicher Schutzrechte (Abschn. 10.2), Anpassungen in der Preisbildung (Abschn. 10.3) sowie Veränderungen im Forschungs- und Entwicklungssektor (Abschn. 10.4) einschließlich etwaiger Evidenzen in deren Wirksamkeit. Schließlich werden Lösungsvorschläge hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit und nötiger struktureller Systemveränderungen aus deutscher Perspektive erörtert.

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Ein transparentes Modell für einen fairen Preis für innovative Arzneimittel

Anne Hendrickx und Thomas Kanga-Tona

Das empfindliche Gleichgewicht zwischen Bezahlbarkeit von Arzneimitteln, Nutzen für Gesundheitssysteme und Patient:innen sowie Einnahmen für die Pharmafirmen hat sich zugunsten letzterer eingependelt. Die europäischen Gesundheitssysteme tun sich schwer damit, Patient:innen zeitnahen Zugang zu neuartigen Arzneimitteln zu ermöglichen, weil deren hohe Preise nicht gerechtfertigt sind. Wie aber verschafft man den Patient:innen Zugang und setzt dabei gleichzeitig Anreize für die Pharmaindustrie, in neue Arzneimittel zu investieren, die die Patient:innen auch wirklich brauchen? In ihrem Modell für eine faire Preisfestsetzung in Europa plädiert die Association Internationale de la Mutualité (AIM) für eine aktivere Rolle der Preisfestsetzungsund Erstattungsbehörden in Europa bei der Definition und Festsetzung „fairer“ Preise für innovative Arzneimittel. Alternativ zum bisherigen Value-based Pricing schlägt die AIM einen einfachen, aber effektiven Algorithmus vor, der auf die zugrunde liegenden Kosten und den therapeutischen Nutzen abstellt. Wenn man den Gewinn auf ein vernünftiges Maß beschränken und gleichzeitig relevante Innovationen honorieren würde, dann könnte man die Arzneimittelpreise senken und den Patient:innen einen besseren Zugang zu diesen Medikamenten verschaffen. Mit ihrem Modell für eine faire Preisfestsetzung in Europa leistet die AIM einen Beitrag zu einer zentralen Debatte, die die Gesundheitssysteme weltweit in den kommenden Jahren beschäftigen wird.

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Teil III Sicht der Marktbeteiligten

Reformbedarf für angemessene Arzneimittelpreise aus Sicht der gesetzlichen Krankenkassen

Sabine Richard, Sabine Jablonka, Jana Bogum, Gina Opitz und Constanze Wolf

Neue Arzneimittel sind in Deutschland unmittelbar für die Patientinnen und Patienten verfügbar: Nach der Zulassung werden die Arzneimittel automatisch von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet – zum vom pharmazeutischen Unternehmer frei festgelegten Preis. Dies steht im Gegensatz zum Vorgehen in vielen anderen europäischen Ländern mit weitergehenden Regulierungen des Markt- und damit Erstattungszuganges. Der frei festgelegte Marktpreis wird erst in Preisverhandlungen zum Erstattungsbetrag in der GKV auf Basis der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossenen Nutzenbewertung angepasst und gilt ab dem 13. Monat nach Marktzugang. Krankenkassen und Ärztinnen und Ärzte sind mit einer zunehmenden Zahl hochpreisiger Arzneimittel konfrontiert, die durch beschleunigte Zulassungsverfahren eine eingeschränkte Datenbasis für eine Bewertung ihres Zusatznutzens mitbringen. Gesetzliche Änderungen sind dringend geboten um die hohe Qualität der Gesundheitsversorgung und deren Finanzierbarkeit zu sichern. Dabei können die Einführung eines Interimspreises statt des frei festgelegten Marktpreises, ein rückwirkend geltender Erstattungsbetrag, eine Stärkung des Wettbewerbs auch unter Patentarzneimitteln sowie der gezielte, qualitätsgesicherte Einsatz von Arzneimitteln mit eingeschränkter Datenlage nur in spezialisierten Behandlungseinrichtungen, die sich an der Generierung von Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten beteiligen, geeignete Schritte sein. Zudem wäre eine Stärkung der europäischen Zusammenarbeit für angemessene Erstattungspreise neuer Arzneimittel anzustreben..

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Hochpreisige Arzneimittel - Herausforderungen und Perspektiven aus Sicht der Vertragsärzteschaft

Sibylle Steiner, Britta Bickel und Maike Schulz

Die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung können das ärztliche Verordnungsverhalten bei hochpreisigen Arzneimitteln beeinflussen. Diese These soll anhand von Verordnungsdaten näher analysiert und beschrieben werden. Die Zusatznutzenbewertung kann als Maßstab für eine evidenzbasierte Verordnungsentscheidung dienen. Dennoch bleibt einschränkend festzuhalten, dass die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Arzneimittels gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt und damit eine Momentaufnahme darstellt. Der Behandlungsstandard kann sich insbesondere bei Indikationen mit raschem Therapiefortschritt schnell ändern. In diesen Fällen ist die Berücksichtigung des Bewertungszeitpunkts zur Einschätzung der Bedeutung des Zusatznutzens erforderlich. Darüber hinaus gibt es Therapiesituationen, in denen neue Arzneimittel in Anwendungsgebieten auch ohne belegten Zusatznutzen eine relevante Therapieoption darstellen können. Anhand von Verordnungsdaten kann gezeigt werden, dass die Vertragsärztinnen und -ärzte diese differenzierte Betrachtung des Zusatznutzens bei ihren Verordnungsentscheidungen nachvollziehen. Inwiefern der Preis die ärztliche Verordnungsentscheidung – sofern damit die Qualität einer indikationsgerechten Therapie unverändert bleibt – beeinflussen kann, zeigt sich am Beispiel der Verordnung von Biosimilars. Arzneimittelinformationen und Instrumente zur evidenzbasierten Verordnungssteuerung werden über die Praxissoftware zur Verfügung gestellt. Hierzu zählt die Information über die Beschlüsse des AMNOG1-Verfahrens, das für einen qualitätsgesicherten, frühzeitigen Zugang zu neuen Arzneimitteltherapien für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten gleichermaßen – und dies auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – sorgt. Wichtig dabei ist, dass auch Limitationen akzeptiert werden und Weiterentwicklungsbedarf erkannt wird.

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Hochpreisige Arzneimittel: Mehr Perspektive als Herausforderung – Anmerkungen zu Preisen, Gewinnen und Fortschritten in der Arzneimitteltherapie

Han Steutel

Das Innovationsmodell der pharmazeutischen Industrie ist ein Kreislaufmodell. Die Umsätze von heute finanzieren den Fortschritt von morgen. Arzneimittelpreise können nicht nach Kriterien der Fairness und Gerechtigkeit beurteilt werden. Sie sollten nicht auf Basis von Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebskosten bemessen werden. Vielmehr sollten Preise den Wert von Arzneimitteln widerspiegeln, um gesellschaftlich optimale Innovationsanreize setzen zu können. Bei der Wahl geeigneter adjustierter Maßgrößen für den Gewinn ergibt sich im Branchendurchschnitt eine dem Risiko angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals auch im Vergleich zu anderen Branchen. Arzneimittel haben einen großen Beitrag geleistet, unsere Lebenserwartung zu erhöhen und unsere Lebensqualität zu verbessern. Bei Arzneimitteln handelt es sich daher um Investitionsgüter, die eine höhere wirtschaftliche Produktivität, Einsparungen von Kosten in anderen Bereichen (z. B. Krankenhaus- und Pflegekosten) und vor allem ein längeres und besseres Leben für uns alle ermöglichen. Bei Reformen sollten Arzneimittel deshalb auch als Investitionsgüter behandelt werden.

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Internationale Sicht. Gut sind nur Medikamente, die auch verfügbar sind

Jörg Schaaber

Die Auseinandersetzung um den Zugang zu Covid-19-Impfstoffen im Frühjahr 2021 hat ein Schlaglicht auf die Schieflage in der globalen Arzneiversorgung geworfen. Zu einem Zeitpunkt, als in Industrieländern schon jede:r Vierte geimpft war, hatte in Afrika gerade mal eine von 500 Personen eine Impfung erhalten. Dabei ist der fehlende Zugang zu lebensrettenden Medikamenten in ärmeren Ländern beileibe kein neues Phänomen. Trotz jahrzehntelangen Versuchen vieler Länder des globalen Südens, eine rationale Arzneimittelversorgung zu erreichen, scheitert dies immer wieder an neuen hochpreisigen Medikamenten. Aids, Krebs oder Hepatitis C stehen stellvertretend für Krankheiten, bei denen es in ärmeren Ländern große Behandlungslücken gab oder gibt. Eine zentrale Barriere sind Patente, die es Herstellern erlauben, durch ein befristetes Monopol beliebig hohe Preise durchzusetzen. Die Behauptung, Patente förderten den medizinischen Fortschritt, wird in diesem Kontext zu einer hohlen Phrase. Schlimmer noch, sie bieten keinerlei Anreiz, Medikamente gegen vernachlässigte Krankheiten zu entwickeln. Deshalb sind neue Forschungsmodelle und eine Abkoppelung der Entwicklungskosten vom Verkaufspreis wichtige Perspektiven für eine global gerechte Arzneimittelversorgung.

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Teil IV Der GKV-Arzneimittelmarkt im Jahr 2020

Der Arzneimittelmarkt 2020 im Überblick

Carsten Telschow, Melanie Schröder, Jana Bauckmann, Katja Niepraschk-von Dollen und Anette Zawinell

Im Überblick zum Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2020 werden Ursachen und Hintergründe der Umsatzsteigerung um 4,9% gegenüber 2019 analysiert. So wird mit Hilfe der Methode der Komponentenzerlegung die strukturelle Veränderung bei den Verordnungen als wichtigster Umsatztreiber für den durchschnittlichen Wert einer Arzneimittelverordnung identifiziert. Für diese Umsatzsteigerungen sind insbesondere neue und teure patentgeschützte Arzneimittel verantwortlich. Gleichzeitig sinkt der Anteil der Tagesdosen im Patentmarkt, sodass hier immer mehr Geld für immer weniger Versorgung aufzubringen ist. Dies trifft noch stärker für das stetig wachsende Marktsegment der Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) zu, die mit extrem hohen Kosten jeweils nur bei wenigen Patient: innen angewendet werden und so einen Versorgungsanteil nach verordneten Tagesdosen von 0,06%, aber einen Kostenanteil von 11,8% am Gesamtmarkt ausmachen. Die Kosten im Zweitanbietermarkt bzw. Nicht-Patentmarkt stagnieren hingegen und auch die Erlöse aus Rabattverträgen haben 2020 das Niveau des Vorjahres erreicht. Viele der weltweit größten Pharmakonzerne konnten erneut Umsatzsteigerungen und höhere Gewinne verbuchen; alleine die 21 größten unter ihnen deckten über 50% der Umsätze im deutschen Arzneimittelmarkt 2020 ab, wobei diese Konzerne ihren Umsatz in Deutschland zu 70%mit Patentarzneimitteln erzielen. Ein Blick auf besondere Entwicklungen in der Arzneimittelversorgung während der COVID-19-Pandemie ergänzt die Sicht auf den GKV-Arzneimittelmarkt 2020.

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AMNOG: Ziel, Funktionsweise und Ergebnisse

Daniel Erdmann, Wiebke Wittmüß und Jörn Schleef

Seit nunmehr zehn Jahren werden neu eingeführte Arzneimittel in Deutschland auf ihren Zusatznutzen untersucht und Preise auf Basis dieser Bewertung vereinbart. Der Artikel fasst zunächst die veröffentlichten Nutzenbewertungen des G-BA zusammen und analysiert diese auf Ebene der Therapiegebiete. Hierbei wird ein verstärktes Augenmerk auf die regulativ bedingte Sonderrolle von Orphan Drugs gelegt. Im zweiten Teil werden die Verhandlungsergebnisse und der zu beobachtende starke Ausgabenanstieg neuer patentgeschützter Arzneimittel betrachtet. Der Artikel schließt mit einer Betrachtung zum AMNOG als weiterhin lernendes System.

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